28.01.2025
Diese Überschrift aus dem Pfarrbrief der Katholischen Kirchengemeinde St. Katharina vom 4. Oktober 1959 verweist auf die frühere Armut in Kohlscheid. Der damalige Pfarrer Franken zeigte immer wieder auf, wie die Mitglieder der Gemeinde in früheren Zeiten gelebt haben. Ihm war es besonders wichtig, die „Armut unserer Vorfahren“ zu erwähnen.
Das Sterberegister der Bürgermeisterei Pannesheide weist 1803 19 Verstorbene auf. Der Anteil an Minderjährigen und ärmeren „Berufen“ fällt auf:
Von diesen 19 waren 7 noch nicht 14 Jahre alt. Einer der Minderjährigen war Köhler (11 Jahre alt), ein anderer Nadelmacher (12 Jahre alt). Und die anderen Berufe, die angegeben sind? 1 Ackermann, 1 Schneider, 1 Arbeiterin, 2 Tagelöhner und 2 Tagelöhnerinnen, 1 Nadelmacher und 2 Bettlerinnen.
Ein anderer Hinweis stammt aus dieser von einem Pfarrer Herry. Er fragt die Bischhöfliche Behörde um Erlaubnis, sonntags 2 hl. Messen halten zu dürfen. Aus heutiger Sicht bedrückend sind seine Gründe:
Die meisten Pfarrkinder haben weder Haus noch Acker noch etwas anderes, wovon sie leben, außerdem, was sie aus ihrer Arbeit haben. Sie sind schlecht gekleidet und haben schlechte Schuhe an den Füßen, daher können sie schicklicherweise nicht zu einer auswärtigen Kirche gehen, ja, sie wagen es auch nicht. Viele haben Säuglinge oder Hilfsbedürftige oder gar Schwachsinnige zu Hause, die man nicht allein lassen darf, damit sie nicht etwa ins Feuer fallen oder das Haus anzünden, was schon oft geschehen ist. Das Abwandern zu einer anderen Pfarrei gibt Gelegenheit umher zu strolchen, über die Zeit auszubleiben, in Kneipen hängen zu bleiben, sich bis zum Exzeß zu betrinken, Lebensmittel und anderes Notwendige auswärts einzukaufen; dadurch haben meine Pfarrkinder, die solches verkaufen, Schaden.
Weitere Hinweise aus Pfarrquellen verstärken in den Folgejahren die Aussagen:
Unsere Gemeinde besteht größtenteils aus Köhlern und Nadlern, die von ihrem Tagelohn kümmerlich leben. Unter diesen Leuten sind im vorigen Herbste bösartige Krankheiten ausgebrochen.
Die Bevölkerung unserer Pfarrgemeinde besteht ungefähr aus unbemittelter armer Tagelöhner, Bergknappen und Nadlern, die durchgängig außer einer elenden Wohnhütte fast nicht das geringste Vermögen
besitzen.
Der größte Teil der Pfarrgenossen besteht aus Armen, die sich von ihrer Handarbeit dürftig ernähren müssen; der Lohn dieser Arbeit wird nur so dürftig erteilt, daß die Eltern ihre Kinder nicht
ernähren können, wenn diese sich nicht auch selbst ihren Lebensunterhalt, teils durch Nadler-Arbeiten, teils durch Arbeiten in den Kohlengruben verschaffen.
1830 werden "arme und verwahrloste Kinder der ununterrichteten Bergleute" in Kohlscheid erwähnt. Und 1849 wird berichtet, daß es in Kohlscheid eine Unzahl Armer gebe "infolge der schon mehrere Jahre darniederliegenden Nadelfabrikation und Kolengruben".
In einem anderen Artikel untersucht Pfarrer Franken „die Untätigkeit der Kohlscheider in den Jahren 1838 bis 1852“. Er untersucht die Frage, warum die Bevölkerung das Geld für die Reparatur der damals beschädigten Kirche nicht aufbringen konnte.
Sein Fazit: die Kohlscheider waren tatsächlich zu arm, um das Geld aufbringen zu können. Kohlscheid galt im Vergleich zu den Dörfern Horbach u. Richterich als besonders unterstützungsbedürftig. Als Beleg zitiert er die Begründung für eine Wohltätigkeitsstiftung, der Poetgens-Stiftung:
Die Pfarre Kohlscheid hat ca. 3000 Seelen, die Pfarre Richterich ca. 2000, Pfarre Horbach ca. 1600 Seelen. Die Pfarre Kohlscheid ist die ärmste, sie hat abgesehen von dem Seelenzahlverhältnis
ungleich mehr Arme; dieses so wie ferner ihr allgemein größerer Notstand gegen die beiden anderen Pfarreien verdient eine besondere Berücksichtigung. Deshalb verordne und bestimme ich:
a) daß von den 5 Alumnen, die aus dem Ländchen von der Heyde in das St. Vincent Hospital in Aachen aufzunehmen sind, 3 aus der Pfarre Kohlscheid und 2 aus den beiden anderen Pfarreien Richterich
und Horbach zugewiesen werden.
b) Von den eingehenden Zinsen des gestifteten Armenfonds sollen der Pfarre Kohlscheid und den beiden anderen Pfarreien Richterich und Horbach zugewiesen werden.
Heute können wir uns nicht vorstellen, unter welch ärmlichen Bedingungen Menschen in Kohlscheid leben mussten. Aretz beschreibt in im 3. Band seiner Spurenbücher diese Arbeiterwohnung:
„Delacomminette” aus Lüttich errichtete in Kohlscheid eine Feldbrandziegelei. Die zugehörige „Arbeiterwohnung” ist wegen des defekten Daches gegen Witterungseinflüsse nicht geschützt. Die Böden im Wohn- und Schlafraum liegen 0,50 m unter Niveau, sollen aber 0,30 m bis 0,50 m darüber sein. Die Böden sind nicht gedielt und haben auch keinen anderen Belag. Zur und in der Unterkunft gibt es keine verschließbare Tür.
Der Schlafraum, in dem sechs Personen in drei Betten schlafen, hat nur 12 Quadratmeter Bodenfläche. Die rauhen Seitenwände der Unterkunft sind etwa 1,70 m hoch, sie müssen mindestens 2,50 m hoch sein. Es gibt keine Waschgeschirre und keine Handtücher.
Auch fehlt ein Abort. Ihn ersetzt ein Loch ohne Deckel in einem Lehmhaufen, der mit einer Strohmatte umstellt ist. Nach einer polizeilichen Anzeige vom 21.05. ist die Hütte am 01.08.1905 niedergelegt.